Mittwoch, 9. Juli 2025

Von der Vernunft zur D915

Von Rize aus fuhren wir weitere 28km entlang der Küste nach Of. Dort entschieden wir uns definitiv dafür in Richtung Bayburt abzuzweigen. Also kauften wir in Of ein und starteten in den Aufstieg von gesammthaft rund 2300hm. Nachdem wir die letzten Tage seit der Knie-Schonungs-Pause sehr vernünftig waren und versucht haben nur langsam die Anzahl Kilometer und Höhenmeter pro Tag zu steigern, sollte dies der Test werden ob das Knie wirklich hält. Beiden war bewusst das dies eventuell nicht mehr die Knietechnisch vernünftigste Entscheidung war (siehe Recherche zur Strasse weiter unten), aber das Abentuer lockte und die Alternativen waren nicht viel harmloser.

Die Landschaft ins Tal hinein ist weiterhin von Teeplantagen und fast dschungelartigen Bewuchs geprägt. Die vielen Teefabriken zeugen von der wirtschaftlichen Bedeutung der Pflanze im der Region.
In einem der Dörfer wollten wir unsere Wasservorräte auffüllen und wurden dabei von einem Regenschauer überrascht. Daher flüchteten wir in eine der Teestuben und wurden dort mit (gebrochenem) Schweizerdeutsch angesprochen. Ein Türke, welcher Jahrzehnte in Wädenswil gearbeitet hatte, war auf Besuch in seinem Heimatdorf. Er fragte uns aus und wir versuchten möglichst viele Infos von ihm zu erhalten, aber die Adaption vom Autofahrerdenken zum Veloreisedenken klappte nicht so gut. Der empfohlene Zeltplatz lag mit rund 30km und 1000hm auf jeden Fall zu weit weg.

Nach dem Regenschauer suchten wir uns wenige Kilometer weiter an einem geschlossenen Strassenabschnitt einen brauchbaren Zeltplatz. Da es einen weiteren Regenschauer gab, verkrochen wir uns ins schon aufgestellte Aussenzelt und konnten so in Trockenheit in unseren Campingstühlen ausruhen.
Durch den harten Boden schleppten wir Steine als Heringersatz heran. Unter einem der Steine versteckte sich eine Wespe welche Chregu prompt stach. Livio musste etwas Chregu verknurren seine Allergiemedis zu nehmen.

Das Znacht kochten wir wieder draussen und realisierten schnell, dass die Strasse doch noch teilweise befahren wurde. Die wenigen Autos interessierten sich aber nicht gross für uns so blieben wir an unserem Platz. Mit dem Eindunkeln gingen wir ins Bett und schliefen bis uns blau/rotes Blinklicht weckte. Wieder einmal Polieibesuch im Zelt. Die Polizisten waren super freundlich und sagten uns, via GoogleTranslate, dass es zu gefährlich sei hier zu zelten, wir sollen ein paar hundert Meter weiter zu einem Restaurant gehen. Wir wollten nicht alles abbauen und fragten nach dem Grund. Es habe Bären war die Antwort. Eher ungläubig gaben wir zurück, dass wir bis jetzt kein Problem gehabt hätten. So fuhren Polizei dann wieder weiter. Livios nächtliche Recherche brachte dann zu Tage, dass wir uns wohl wiklich im bärenreichste Gebiet der Türkei befanden. Das Verhalten der Türken vor Ort zeigt uns, im Vergleich z.b. zu Kanada, dass die Bärendichte nicht dehr hoch sein kann.
So auferlegten wir uns die Vorgabe die nächsten Nächte nahe der Zivilisation zu verbringen.

In Çaykara, dem grössten Dorf des Tales, genossen wir einen Cay, schnabulierten Süssigkeiten und kauften für die nächsten Tage ein, da die Versorgungslage nicht klar war. Vollbepackt folgten wir weiter der D915 in Richtung Süden. Mit dem Abzweiger nach Uzungöl, dem Haupttourismusspot im Tal liess der Verkehr massiv nach und wir konnten auf den steilen Aschnitten die ganze Strassenbreite für Serpentinenfahrten nutzen.


Das Tal hat sehr steile Flanken und immer wieder tauchen Dörfer oder Weiler auf, welche an den Hängen kleben, wo auch Landwirtschaft betrieben wird.
Beim Dorfeingang von Köknar wurde die Strasse schlagartig kleiner und schlechter. So ist sie durch das Dorf meist nur einspurig und ziemlich löchrig. Beim Lebensmittelladen hielten wir an um uns zu organisieren. Es dauerte nicht lange bis wir von den alten Männern in der Cay-Evi, nur wenige Meter daneben, zum Tee eingeladen werden.

Dort konnten wir zwei, allbekannt als französisch-"Genies" ;), unsere Spachkenntnisse unter Beweis stellen, da einer der Männer lange in Paris gearbeitet hatte. Auf unsere Frage nach einem Zeltplatz schickte er mit einer Beschreibung und Kilometerangabe weiter bergwärts. Nach dem angegebenen Kilometer fanden wir ein Strassenbaucamp, auf das ein Teil der Beschreibung passte, aber irgendwie sogarnicht nach Campingplatz aussah wie erwähnt... Wir schauten uns aber um und prompt wurden wir zum Tee eingeladen.

Ein Irani, der sich aufs Züchten von wunderschönen (oder eher furchteinflössenden) Hähne speziallisiert hat, lebt seit einigen Monaten hier als Bewacher oder Betreiber des Baucamps. Nachdem er uns seine Sammlung an Hühnern gezeigt hatte und wir uns für eine Zeltplatz umschauten, übersetzte er uns, dass wir heute seine Gäste seien und so kamen wir zu einem Raum zum schlafen, einer Dusche und Znacht. Ausserdem klärte er, bei weiter oben wohnenden Leuten, für uns ab, ob der Pass nach Bayburt befahrbar ist. Es habe zwar noch Schnee, aber es sei möglich. So genossen wir den Nachmittag vor dem Camp und erholten uns für den nächsten Tag.
Zum Znacht wurde uns, typisch iranisch, eine Mischung aus Rührei, Tomaten und Zwiebeln, sowie Yoghurt mit Gurke serviert. Dazu viel Brot und zum Abschluss natürlich Cay. Wir verabredeten uns für ein frühes Frühstück (Gurke, Tomate, Käse, Sesammuus, Brot).


So kurbelten wir am nächsten Morgen auf der guten trassierten und bis einige Kilometer nach Karaçam auch asphaltierten Strasse bergwärts. Irgendwann wechselte der Belag dann auf Schotter, die Neigung blieb aber recht erträglich.

"Walliser" Häuser

Wir machten schon weit vor dem Mittag eine grosszügige Pause direkt unterhalb des Serpentinenmassaker, wo die Strasse mit 13 Kehren in einem Hang rund 300hm macht.
Die wenigen Autos die wir trafen, waren ganz normale PW's oder Lieferwagen ohne Allrad oder sonstigen Offroadeigenschaften. Von weitem sahen wir auch noch einen Camper, welcher uns aber erst überholt als wir auf der anderen Passseite an unserem Zeltplatz sassen. Ausserdem treffen wir einige Töfffahrer, welche mit ihren Tourenmaschinen den Pass befahren.
Im Vorfeld der Reise stolperte Chregu über diese Strasse, da auf der Karte die Spitzkehren auffallen und war fasziniert davon. Unsere spätere Rechere zeigte dann dass die Strasse im Internet unter den "World deadliests roads" gehandelt wird. Dies vor allem unter den Töfffahren. Berichte über Velobefahrungen hatten wir kaum gefunden. Vor Ort zeigte sich dann aber, dass die Strecke wohl spektaktulär ist, aber mit grundsätzlich rund 6% Steilheit relativ moderat bleibt. (Von einigen wenigen Rampen abgesehen.) Ausserdem fanden wir den Belag in gutem Zustand vor. Meist war der Schotter gut gepresst und der Grip sehr gut. Daher fiel uns das Hochfahren recht einfach. Die häufigen Stopps waren eher den Fotos geschuldet weder der nötigen körperlichen Erholung. Um Livios Knie trotz Bergetappe nicht zu überfordern, verlagerten wir einige Kilo an Gepäck auf Chregus Velo. Livio vermutete sogar, dass wohl noch nie ein so schweres Velo über den Pass gefahren ist.




Auf rund 2000m.ü.M. wechselte die Landschaft wieder auf runde offene Hügel und die Vegetion wurde wieder recht karg. Je näher wir der Passhöhe kamen je mehr Windkraftanlagen tauchten im Blickfeld auf. Offensichtlich wird an einem grossen Windpark gebaut um die vom Schwarzen Meer kommenden Winde in Strom zu verwandeln. Auch war schön sichtbar wie der Vegetationsunterschied zu Stande kommt. Die vom Meer kommenden Wolken lösten sich, ähnlich wie bei uns in einer Föhnwalze, direkt auf dem Pass grösstenteils auf.
Ab etwa einen Kilometer vor der Passhöhe war dann die Strasse wieder asphaltiert. Dies wohl vor allem wegen dem Windpark der gerade noch fertiggestellt wird.

 

Livios Knie machte bis ganz nach oben (zu unserer beiden Erstaunen) gar keine Faxen. Die unvernünftige Entscheidung hatte sich also gelohnt. Nach einer Nudelsuppe aus dem Beutel rollten wir Strasse in Richtung Bayburt hinunter.


Dank Höhenunterschied und Rückenwind erreichten wir den Talboden sehr schnell. Da fanden wir dann auch einen wunderbaren Zeltplatz an einem Bach und verbrachten den Nachmittag im Schatten von Pappeln. Die Suche nach einem Cay im Dorf mehr oder weniger nebenan, ergab dass es dort entweder keine Teestube gibt (sehr unwahrscheinlich), diese geschlossen war (möglich), oder wir einfach zu ungeschickt die an der Strasse sitzenden alten Männer mit ihren Teegläsern zu finden. (Fast sicher)


Der Rückenwind war am Morgen verschwunden, aber auch ohne Windhilfe rollte es recht gut bis Bayburt. Die Stadt liegt am Fluss Çoruh an welchem wir in Artvin schon Tee getrunken hatten. Die ausgesuchte Teestube für den morgendlichen Cay bot auch Glace an, was Chregu, auch morgens um 8 Uhr nicht lassen konnte.

Von Bayburt aus liessen wir uns vom Rückenwind helfen und pedalten so rasch nach Demirözü wo wir an einem schattigen Plätzchen den wärmsten Teil des Tages abwarteten und danach nochmals rund 30km an den Sadakstausee zu fahren. Dort konnten wir wieder einmal baden und den Abend inkl. Sonnenuntergang geniessen,
bis uns, einmal mehr, die Moskitos ins Zelt trieben.


Vom Stausee aus fuhren wir in Richtung Süden. Wie angenommen war bei Günbatur fertig mit Asphalt. Auf einer brauchbaren Schitterpiste kämpften wir uns hoch bis wir auch rund 2000m bei Yarbaşı auf die "grosse" Srasse nach Ercincan gelangten. Diese Strasse wird aktuell gerade neu gebaut und daher fuhren wir weiter auf sehr gemischten Strassenzuständen durch all die verschiedenen Baumaschinen. Wie für die Türkei typisch werden die Strassen massiv begradigt und es wird wenig Rücksicht auf das Gefälle genommen, so verschwinden viele Kurven, es enstehen aber steile Rampen, teilweise einfach gerade die Hänge hoch.

Die Abfahrt nach Ercincan war oben weiterhin Baustelle, aber je weiter wir kamen, je besser wurde die Strasse. Aber vor allem merkten wir den Temperaturanstieg durch die gut 1000hm die wir vernichteten. In der Stadt angekommen war es gerade Zeit für einen ersehnten Kebapteller. Danach quartierten wir uns in einem Hotel ein und genossen die Annehmlichkeiten.








2 Kommentare:

  1. 1. Gedanke: offedechtlech funktioniert sChnü vom Lii wieder wie's sötti. Sehr coool!
    2. Gedanke: jaja, da Chregu, muess zu sim eigene Wohlbefinde i de Pampa überzügt werde. Alles andere het erstuunt.
    3. Gedanke: Wieso hock ech im Zug uf Basu statt Lozern? Offensichtlich meh Blog als Zuginfos gläse.
    @reisendi, wo jewiils z Olte uf e RegioZug nach Wauwu-Lozern uf em Gleis 11 wönd. Det staht mängesch au scho de Basler a bester Lag bereit wo 10min spöter fahrt. Da kei Sektore-Agabe gmacht worde sind, semmer immerhin 3 unabhängigi Persone gsi, wo's glich gange isch...

    AntwortenLöschen
  2. Das Knie hält.... Wunderbar!
    Spannend, abenteuerlich, für die Lesenden unterhaltsam.
    Mehr als 2000hm, Serpentinen wie Haarnadeln, Bärencamping und immer mal wieder Cay. Es macht echt Spass, die abwechslungsreichen Texte zu verschlingen.

    AntwortenLöschen