Donnerstag, 17. Juli 2025

Fligus Stechaea anadolus est

Nach Geburtstagtorte, Kebab und Bier in Erzincan genossen wir die Nacht im klimatisierten Hotelzimmer. Nach dem Frühstück beluden wir unsere Velos und rollten aus der Hotellobby. Aber nur gerade wenige Meter weit, denn Chregu bemerkte, dass zu wenig Luft in seinem Vorderpneu ist. Also, alles Gepäck wieder abbauen, Vorderrad raus, Pneu demontieren, Übeltäter (Draht) finden, Loch flicken und alles wieder zusammenbauen. Livio organisiert unterdessen das Brot fürs Zmittag. Danach radelten wir aus Erzincan in Richtung Südwesten, um dem Fluss Euphrat zu folgen. Die Strasse und die Bahnlinie begleiten den Fluss mehr oder weniger eng. Die Bahnlinie höhenmetersparend durch Tunnel. Die Strasse teilweise gnadenlos in gerader Linie über die Hügel hinweg.


Der Euphrat, oder türkisch Firat, fliesst in diesem Abschnitt frei duch die Landschaft und wird nur durch mehrere steile felsige Schluchten eingeengt. Ein landschaftlich absolut lohnender Abschnitt.

Livio hatte im Voraus eine Picknick-Anlage auf GoogleMaps entdeckt, welche vielversprechend aussah. Vor Ort stellte sich es sich dann als absoluter Glücksfall heraus. Es fliesst sehr viel Quellwasser in verschiedensten kleinen Bächen durch die Anlage und dank Bäümen ist es wunderbar schattig. Livio redet vom "Himmel auf Erden" im Gegensatz zur höllischen Hitze auf der Strasse (Laut Meteo 42 °C…). So entkamen wir für ein paar Stunden der Wärme. Wir assen unser Zmittag: Gurken, Frischkäse, Chips und Brot. Danach steckten wir unsere Köpfe in die Karte, um die weitere Route zu verfeinern. 

 

Livios Idee ab Kemah den Zug  zu nehmen und somit die spannende Bahnline zu befahren, gefiel Chregu natürlich. Die Recherche online brachte zwar zu Tage, dass der Velotransport offiziell nur für Faltvelos möglich sei, wir wollten es trotzem probieren. Also verliessen wir die kühle Oase der Picknick-Anlage und rollten die letzten Kilometer nach Kemah, kauften ein und platzierten uns am Bahnhof. Vor Ort wurde uns mitgeteilt, dass der Schaffner entscheide. Das hatten wir vermutet und standen also auf dem schmalen Perron parat. Als der Dieselzug heranzuckelte, fragte die Stationsvorständin das Zugspersonal ob wir mitfahren können. Das wurde bejaht und wir durften unsere voll beladenen Velos in den Zug hieven. Die beiden Kondukteure halfen uns beim verstauen des Gepäcks und schlossen sogar eine Tür ab, dass wir dort unsere Velos deponieren konnten.
Die knapp zweistündige Fahrt war spannend und führte immer direkt dem Fluss entlang. Dank verschiedenen freien Sitzen konnten wir uns jeweils die spannendere Seite auswählen.

Im Bahnhof Çaltı angekommen, luden wir wieder alles aus und Chregu musste sein Vorderpneu aufpumpen, schon beim Einsteigen hatte er einen weiteren Platten bemerkt.
Nur wenige Kilometer weiter fanden wir einen super Zeltplatz direkt am Bach. Also gingen wir erst einmal baden. Herrlich eine solche Abkühlung.
Chregu fand danach ein weiteres Loch im vorderen Schlauch. Vielleicht kommt ein über 10jähriger Pneu mit gut 28000km doch nicht mehr so gut mit den türkischen Strassen zurecht...
Bevor wir ins Bett gingen, genossen wir ein weiters Bad im Fluss und konnten so wunderbar sauber in die frisch gewaschenen Seidenschlafsäcke schlüpfen.

Am Morgen standen wir so früh auf, dass wir im ersten Tageslicht schon auf den Velos sassen. So erlebten wir den Sonnaufgang auf dem ersten Pass für heute. 


Wir waren unterwegs in Richtung Süden zum Karanlık Kanyon. Hier fliesst der Euphrat durch eine enge Schlucht und paralell dazu wurde eine Strasse in den Fels gehauen. Genau diese Strasse befuhren wir und konnten so dutzende wunderbare Ausblicke in den Canyon geniessen.
Vielen Dank an Sandro für den Tipp.






Bouldereinlage für einen Geocache

Im Dorf Kemaliye angekommen fühlten wir uns wie man sich z.B. in Zermatt fühlt. Alles ist herausgeputzt, neu, viele können Englisch, es hat viele Hotels, ...
Da es erst 8 Uhr ist, assen wir, klassisch für die Türkei, eine Corba (Suppe) zum Frühstück und kauften für den Tag ein.

Livio sucht das "Satilik" (zu verkaufen) - Schild...

Um vor der allzugrossen Hitze noch einige Kilometer zu machen, fuhren wir rasch wieder los und kurbelten aus dem Ort über einige Wellen und Hügel durch die Landschaft, immer rechts vom Euphrat, unterschiedlich hoch am Hang. Immer wieder ergaben sich spannende Ausblicke.
Der letzte Aufstieg zu einem Pass (Dutluca Geçidi, 1200m) forderte uns ziemlich, da er mit ~400hm zwar  nicht wahnwinnig hoch ist, aber recht steil und vorallem heiss, da es Mittag war und kaum schatzenspendende Bäume vorhanden waren (Laut Meteo immer noch >40°C). Chregu kam in die seltene Hungersituation, dass er instantan etwas essen musste, an ein weiterfahren war nicht zu denken. So vertilgten wir in kurzer Zeit eine Box Frischkäse und eineinhalb Fladenbrote.
Auf dem Pass angekommen, konnten wir zur nächsten Gartenbeiz rollen und uns da mit Köfte und Dondurma (Glace) verwöhnen lassen. Wobei uns die Stech-Fliegen dann irgendwann doch wieder aufs Velo trieben. Wir hatten einen Canyon im Visier, wo wir planten zu zelten. Vor Ort stellte sich dann heraus, dass es ein wirklicher Camping am Bach ist, wo Dutzende bis Hunderte Türken sich für das Wochenende am einrichten waren. Einige sind offensichtlich sehr viel da, denn ihre Zelte sind fix und es stehen Möbel und Kühlschränke herum.
Nach einem Bad im Bach suchten wir uns einen Platz, kochten und krochen einigermassen früh ins Zelt. Die Nachbarn hielten uns aber mit Musik und Licht mehr oder weniger vom Schlafen ab. 


Ganz so früh wie am Vortag konnten wir nicht starten, da wir sonst in Arapgirnur geschlossene Läden vorgefunden hätten. So fuhren wir, nach dem Einkaufen, auf den ersten Pass in Richtung Divriği, machten unterdessen Halt in einer Strassenbeiz, wo wir mehr durch die Tischnachbarn, als durch die Beiz verpflegt wurden. 

 

Einer der vielen Wasserspender unterwegs

Noch vor dem Mittag überquerten wir den Pass und rollten steil hinunter an den Bach (witzigerweise wieder jener an welchem wir die letzte Nach übernachtet hatten.) Wir suchten ein Schattenplatz und gingen Baden. Der Nachmittag floss so dahin und wir versuchte uns vor der Hitze zu verstecken und uns vor den Stechflliegen zu schützen. Nach weiteren Abkühlungen im Bach kochten wir dann unser Znacht um danach, in der etwas kühleren Abendluft, noch auf den nächsten Pass zu radeln. Dort fanden wir, schon nach dem Sonnenuntergang, aber noch immer in der wunderschönen Abenddämmerung, einen super Zeltplatz unter einem Hochspannugsmast.

Langsamverkehr


Am Morgen vom 13. Juli konnten wir also zuerst runter rollen, mussten aber noch über weitere grosse Wellen bis wir Divriği erreichten. Dort assen wir eine Corba zum Frühstück, besuchten die grosse Moschee und kauften ein um rund 10 Kilometern in Richtung Kengal an einem Bach den Mittag und Nachmittag zu verbringen. Diesmal kämpften wir mit dem Innenzelt gegen die, zwar eher wenig vorhandenen, aber dennoch nervigen Fliegen. Im Kampf gegen die Hitze (38-40°C) übernahmen wir die Technik, welche wir zwei Tage vorher einigen Türken abgeschaut hatten und setzten uns mit den Stühlen direkt in den Bach. Während der Pause wurden wir von "Nachbarn" aus seinem Garten versorgt. Leider waren wir entweder überfordert von der Menge einer ganzen Honigwabe oder das gereichte Obst war so sauer und mehlig, dass wir es beim besten Willen nicht essen konnten.
Nach dem Znacht, das diesmal mit Kartoffeln, Tomate und Geschnetzeltem exquisit ausfiel, fuhren wir noch in den Abend hinein um den letzten grösseren Pass bis Kangan noch zum Teil zu erklimmen. Aus dem gemütlichen Abendpedalen wurde rasch eine Sprintveranstaltung, da wir mehrmals erfolglos ansetzten um an Lastwagen anzhängen. Erst als Livio einem Fahrer mit Zeichen gesagt hatte, was wir vorhaben, klappte es. Der Fahrer hielt kurz an, und so konnten wir und für die nächsten Kilometer ziehen lassen. Im Eindunklen suchten wir uns eine Zeltplatz aus und genossen den Sternenhimmel.

Die letzten Höhenmeter bis zum Pass (Karasar Geçidi) kurbelten wir dann im ersten Sonnenlicht. Danach ging es rassiger weiter als an den Vortagen. Die Höhenmeter pro 100km sanken von rund 2000 auf rund 1000.

Es blieb somit hüglig und die typisch türkischen Wellen sind weiterhin fies, aber seltener und kleiner. Wir erreichten Kangal, assen, wie schon öfters, eine Corba, dranken Cay. Um der Hitze (~40°C) zu entfliehen verschoben wir uns in die Hauptmoschee des Ortes und verliessen sie nur zu den Gebetszeiten, wobei wir dann jeweils dem Glauben der Veloreisenden fröhnten und uns Energie zuführten in Form von Kebap, Ayran, Cay, Cola und Baklava. Es scheint die beste Variante zu sein, um fliegenfrei auszuruhen. Ausserdem ist die Landschaft hier so karg, dass Schatten sehr rar ist. Schatten am oder im badetauglichen Wasser so oder so. Als das Nachmittagsgebet anstand, gingen wir zum dritten Mal in dem gleichen Kebap-Laden und vervollständigten unser "durch die Karte essen" fast. 

frisch gestapelter Kebap

Danach in den A101 Supermarkt (unser Favorit) um das nötige Essen für die Fahrt bis zum nächsten grösseren Ort zu kaufen. Beim Bezahlen kam die, übliche, Frage nach unserer Herkunft? İsviçre als Antwort war der Anfang eines witzigen Gesprächs über ihre Herkunft und die umliegenden Orte. Z.b dass wir in Divriği eine spektakuläre Plattform mit Glasboden über einer Schlucht verpasst hatten. Aber es wäre zu heiss gewesen, um dorthinauf zu fahren als wir dort waren... Auf jeden Fall eine weitere fröhliche Begegnung.

Nach dem Pumpen der Räder beim Otolastik (Pneuhaus) kurbelten wir über mehrere Wellen und hatten für die erste 7 Kilometern etwas mit dem Verkehr zu kämpfen. Danach bogen wir ab und konnten das Gefälle und der leicht von hinten kommende Wind wunderbar in Tempo umsetzen. Immer weiter in Richtung Südwesten hatten wir eine kleine Strasse ausgesucht. Es hatte wenig Verkehr, die Temperatur war auf angenehme 30°C gesunken (wie man sich doch irgendwie eingewöhnen kann...) und der Wind half meistens. So rollten wir durch das offene Acker- und Weideland.
Ein entgegenkommendes Auto verlangsamte als die Fahrer uns erblickten und zeigte uns wir sollen anhalten. Als erstes, tauchte ein Glas Cola aus dem Fahrerfenster auf. Das zweite folgte sogleich. Ein kurzes Gespräch, ein Selfie zusammen, Instagram Accounts austauschen und schon war der "Spuck" vorbei. Doch nicht ganz. Kurz darauf heulte der Rückwärtsgang des Autos auf,  wir verlangsamten und wurden dann links, rückwärts überholt. Das aus dem Auto gestreckte Natel offenbarte die Absicht und so modelten wir so gut es geht für ein Foto.

 


Mit einem breiten Lächeln über die schöne Begegnung pedalten wir noch durch das Dorf Kuşkayası und fanden kurz danach einen guten und fast insektenfreien Zeltplatz.
Nach dem Frühstück mit Sonnenaufgang fuhren wir los und schon bald verwandelte sich die Strasse immer mehr zur Piste. Für die nächsten gut 20 Kilometern war unsere Konzentration speziell gefordert um die grössten Schlaglöcher zu vermeiden. Neben uns zogen Felder mit relativ aufwändig bewässerten Peperonis oder Getreide vorbei. Verkehr hatte es bis auf ganz wenige Autos und zwei Sattelschlepper keinen. Je mehr wir in Richtung Westen kamen, desto besse wurde der Belag. Zurück auf der grossen Vierspurigen Strasse (D300) legten wir dank Rückenwind und grundsätzlichen Gefälle die rund 40 Kilometer bis Pınarbaşı im Geschwindigkeitsrausch zurück. Und einmal mehr erkannten wir, dass es kaum flache türkische Strassen gibt. Immer wieder mit >50km/h hinunter und geradewegs auf der anderen Seite wieder hinauf, natürlich entsprechend langsamer. Im der Stadt angekommen, das gleiche Programm wie in den letzten Tagen: uns etwas waschen in der Mosche, Corba zum Frühstück und dann Schattenplatz finden gegen die Hitze. Diesmal ein Park bei einer Quelle. Fliegenarm, aber nicht ganz Fliegenlos.

Gegen Abend starteten alle um uns lagernden Türken ihre Grilladen. Wir spöttelten schon, ob wir vielleicht auf das Znacht im Kebap-Laden verzichten könnten, vor allem beim Anblick der zubereiteten Mengen. Und es kam so: vom der einen Seite ein Brot gefüllt mit Shish-Kebap, von der anderen ein Teller mit Fleisch, dazu von der ersten Seite Cola dazu. Am Schluss bekamen wir auch noch Kuchen.

Immer wieder schön, diese unkomplizierte Gastfreundschaft, da könnten wir Schweizer noch einiges abschauen.
Rund 30 Kilometer weiter fanden wir einen passenden Zeltplatz an einem Bewässerungskanal.


Die letzten 60 Kilometer nach Kayseri waren unspektakulär. Nur gerade, dass wir erst an der dritten Raststätte einen Cay bekamen, liess uns etwas ratlos zurück...
Und Chregu hatte bei der Einfahrt in die Stadt einen Platten. Wie immer ein Draht der sich durch den Pneu gearbeitet hatte.

Ausserdem: Die Ostanatolische Stechfliege und deren biologischer Name sind erfunden, wenn auch beruhend auf einer (oder vielen) wahren Begegnungen.

2 Kommentare:

  1. Eimal meh es mega Grense bem Lese. Danke vüu mau!

    D Stechfliege het üch offensichtlich beschäftigt, dass si sogar d Ehr vom Titu becho het...und viellecht send sogar die Dröht im Pneu eigentlech Stechfliegestachel ;-)

    Bezüglech botanesche Name dörfed er da mol no zu mer i d Nachhüuf, damets weniger uffallt ;-)

    AntwortenLöschen
  2. Hoi Chregu. Spannender Abenteuerbericht und tolle Fotos. Weiterhin viel Freude und gute Fahrt. Severin

    AntwortenLöschen